Wer entscheidet eigentlich über den Einsatz der Armee?
Lieber Lukas Hässig
Etwas provokativ sollen Ihre Blogs ja sein, aber inhaltlich falsch dürfen sie nicht sein. Im Namen der vielen hundert Armeeangehörigen, die die Spitäler unterstützt haben und dies gerade wieder tun, liegt mir daran, die Fakten richtigzustellen.
Nach dem Entscheid des Bundesrates vom 7. Dezember zu einem dritten Assistenzdienst der Armee im Rahmen der COVID-Pandemie wurden uns viele Fragen gestellt. Interessanterweise waren es in etwa gleich viele Fragesteller, die sich noch mehr Einsätze der Armee wünschen wie solche, die der Notwendigkeit des Armeeeinsatzes kritisch gegenüberstehen.
Auf die wichtigsten Fragen beider Seiten deshalb kurz und klar die Antworten.
Die Armee drängt sich nicht auf.
Unsere Milizarmee sind Schweizer Bürgerinnen und Bürger, die bei Bedarf aus ihrem zivilen Leben in den Dienst einrücken, um zu helfen, zu schützen, zu retten und wenn nötig für unser Land zu kämpfen. Die Armee untersteht dabei dem Primat der Politik. Es braucht einen Bundesbeschluss um die Armee einzusetzen. Nicht der Chef der Armee bestimmt, wann die Armee zum Einsatz gelangt, sondern der Bundesrat und das Parlament. Dies bedarf der „Subsidiarität“, d.h. die Armee gelangt nur dann zum Einsatz, wenn die zivilen Mittel nachweislich nicht mehr genügen um eine Lage zu bewältigen.
Wir sind dort im Einsatz wo es uns braucht.
Die Armee gelangt nur dort in den Einsatz, wo ein bewilligtes Gesuch eines Kantons vorliegt. Die Bewilligung erteilt im aktuellen Assistenzdienst das BAG, das Bundesamt für Gesundheit. Mit der Bewilligung des Gesuches wird festgelegt, wie viele Armeeangehörige in den Einsatz gelangen. Die Armee bestimmt weder Menge noch Ort, sondern geht dort in den Einsatz, wo es sie braucht.
Wenn es uns nicht mehr braucht, gehen wir wieder nach Hause (das kann keine Berufsarmee).
Sowohl in der ersten als vor allem auch in der zweiten Welle hat die Armee ständig die Auslastung der eingesetzten Armeeangehörigen geprüft. Wo diese den Einsatz nicht mehr rechtfertigte wurde mit dem Spital und Kanton über eine Reduktion entschieden.
Warum waren die in der ersten Welle eingesetzten Armeeangehörigen nicht ausgelastet?
Ganz einfach, weil genau dies das Ziel war. Angesichts der Unsicherheit zu Beginn der Pandemie sowie angesichts der Bilder aus Italien, war es das Ziel, zusätzliche Kapazität im Gesundheitswesen zu schaffen. Kapazität heisst nichts anderes, als dass freie Ressourcen zur Verfügen stehen. Noch einfacher ausgedrückt: Freie Betten mit zugehörigem Personal in den Spitälern. Genau das wurde erreicht, was die Bilder ja bewiesen. Dass die Welle dann nicht über die Deutschschweiz schwappte, war vor allem auch Glück. In der Westschweiz und im Tessin waren die Spitäler und die militärischen PflegerInnen ausgelastet.
Warum öffnet die Armee nicht endlich die Militärspitäler?
Klare Antwort: Weil in einer Pandemie kein Bedarf besteht. Noch kein Kanton hat militärische Spitalbetten beantragt. Die Armee verfügt mit dem Koordinierten Sanitätsdienst über acht unterirdische Militärspitäler mit einer Kapazität von 800 Betten. Das zivile Gesundheitswesen benötigt in einer Pandemie vor allem zusätzliches Personal, keine Betten. Und schon gar nicht besteht in einer Pandemie Bedarf an unterirdischen Pflegestationen.
Hat die Armee Fehler gemacht während der Pandemie?
Ja. Zu diesen sind wir immer gestanden. Wir haben daraus Lehren gezogen und sind bereits in der zweiten Welle mit neuen Prozessen und Strukturen gestartet. Die Lehren zogen wir konkret im Bereich der Führungsstruktur, der Absprache der Gesuche mit den Spitälern und Institutionen, der Kommunikation und Information der Kommandanten und Truppe sowie im Bereich der Logistik und Administration.
Passierten auch Fehler in der Beschaffung von Masken?
Ja, auch zu diesen stehen wir und auch hier haben wir Lehren gezogen. Nach der anfänglichen Überlastung in der Armeeapotheke bei der Maskenbeschaffung haben wir zusätzliche Spezialisten und Personal beigezogen. Per 18. Mai 2020 wurde die Armeeapotheke der LBA unterstellt, welche die Armeeapotheke zeitweise mit über 100 Logistikspezialisten unterstützte. Heute ist die Armeeapotheke resilienter aufgestellt, die Informatiksysteme sind konsolidiert und Kontrolle über das Inventar hergestellt.
Haben die Milizangehörigen, die im Einsatz standen, Wertschätzung verdient?
Ja, unbedingt. 91% der im März 2020 aufgebotenen Armeeangehörigen sind eingerückt. Trotz eigenen Sorgen um Gesundheit, Verwandten in Risikogruppen, Unklarheit bezüglich dem Arbeitgeber nach Rückkehr. Es haben sich über 3‘000 Freiwillige in der ersten Welle gemeldet. In der zweiten Welle standen Freiwillige über Weihnachten und Neujahr in Spitälern im Einsatz. Vor allem, aber nicht nur, in der von der Pandemie stark betroffenen Romandie und im Tessin war die Unterstützung durch unsere Miliz geschätzt und wurde verdankt.
Auch gerade jetzt, also über die Festtage, stehen über 200 Milizangehörige im Einsatz für unser Gesundheitswesen.
Unsere Milizarmee drängt sich nicht auf. Wenn es sie braucht ist sie bereit. Sie geht in den Einsatz wo es sie braucht. Wenn es sie nicht mehr braucht geht sie wieder zurück ins Zivilleben.
Freundliche Grüsse
KKdt Thomas Süssli
Chef der Armee
4 Antworten
Sehr geehrter Herr Korpskommandant Süssli
Mit grosser Begeisterung habe ich Ihren Blog gelesen. Sie finden treffende Worte zur benötigten Lernkultur und runden diese noch dazu mit den weisen Worten General McCrystals ab. Kein Kritiker bestehender Armeeprozesse hätte bessere Vorschläge zur Optimierung machen können, wie Sie sie aufführen.
Bedauerlicherweise werden Ihre Vorstellungen innerhalb der Armee noch immer zu selten gelebt. Wie sonst kann es sein, dass auf Medienkonferenzen von Bund und BAG, aber auch von der Armee, über einen möglichen zweiten Corona-Einsatz bzw. eine zweite Mobilmachung gesprochen wird, die davon betroffenen AdAs und deren Arbeitgeber aber ausser einem Aufruf, sich freiwillig zu melden, nicht informiert wurden? Bei der ersten Mobilmachung hat es mehrere Wochen gedauert, bis die Armee die Arbeitgeber der Eingezogenen orientiert hat. Ich hatte gehofft, hier hätte ein Lernprozess stattgefunden. Auch wenn die Armee natürlich nicht voraussagen kann, wer wann und wo eingesetzt wird, so haben die öffentlichen Aussagen der letzten Tage unterstrichen, dass die Armee Szenarien und Optionen aufgestellt hat. Diese in groben Zügen den Betroffenen und deren Arbeitgebern mitzuteilen würde für eine gewisse Sicherheit, für Verständnis und für Motivation sorgen. In meiner zivilen Kaderposition wie auch als Wachtmeister eines Spitalbataillons weiss ich, wie fundamental wichtig selbst grobe Informationen für die Motivation der Unterstellten ist. Dies hat die Schweizer Armee unter 4.1.1 in ihrer Militärethik vom 1. September 2010 selbst festgehalten. Ich bin enttäuscht, dass nicht danach gehandelt wird. Mit dem oft propagierten Respekt und Dank für die mobilgemachten Truppen hat das Nichts zu tun.
Leider habe ich keine andere Möglichkeit, mein Unverständnis über die bis jetzt unterlassenen Informationen zum Ausdruck zu bringen, wie dies auf Ihrem Blog zu kommentieren. Denn bedauerlicherweise weicht das Personelle der Armee meiner Frage nach Informationen aus und ignoriert sie. Stattdessen erfährt man die Informationen, die offenbar vorhanden gewesen wären, aus den Medien. Es erinnert an die Situation vom Frühjahr, als die Medien gewisse Informationen publizierten, bevor diese den Dienstweg hinab zur Truppe gelangten. Bitte verhindern Sie, dass diese Fehler aus dem Frühjahr wiederholt werden.
In grösster Hochachtung
Sehr geehrter Herr Hruby
Besten Dank für Ihr Feedback. Die Information unserer Armeeangehörigen ist mir wichtig und so haben wir bereits vor dem Entscheid des Bundesrates vom 04.11.2020 sowohl die Arbeitgeberverbände als auch auf Social Media unsere Armeeangehörigen informiert. Verbindlich informieren konnten wir aber natürlich erst nach dem Bundesratsbeschluss für den Assistenzdienst und der Bewilligung der ersten Gesuche letzten Freitag. Vorher hätten wir gar nichts über die zu erbringenden Leistungen sagen können.
Ich nehme Ihr Feedback gerne so entgegen und wir werden zusammen mit unseren Kommunikationsspezialisten überlegen, wie wir in Zukunft und bei neuen Aufgeboten besser informieren können. Insbesondere muss die Truppe im Dienst immer vor den Medien informiert werden, da gebe ich Ihnen recht.
Freundliche Grüsse, Thomas Süssli
Sehr geehrter Herr Corkommandant Süssli.
Danke für Ihre Ausführungen.
Ich bin einer Alter Soldat, Jg 1953. Aber gerade zur Ausbildung habe ich doch noch einiges zu Sagen.
Wir haben stundenlang Daumenbasisverbände geübt. Unsere Ausrüstung war völlig veraltet, jeder der hinsehen konnt war entsetzt.
Wenn ich von jungen Soldaten höre, wie die RS gestaltet ist, so tönt das oft ähnlich.
Bitte kümmern Sie sich darum. In der Ausbildung braucht es die Besten, gute Pädagogen und es braucht dringend frischen Wind. Wenn Rekruten herumsitzen, so passiert auch mental ein Desaster.
Ich beurteile die politische Situation heute als sehr gefährlich, Russland, China und jetzt letztlich auch Amerika sind nicht mehr transparent und berechenbar. Wenn in den USA eine praktisch 40%-ige Mehrheit für Trump wählt, der sich klar as Antidemokrat outet und seine Waffennarren freies Spiel erlaubt. Das ist sehr gefährlich. Für mich ist auch ganz klar, dass wir nur im Verband mit Europa noch eine Chance haben werden.
Sehr geehrter Herr Meili
Danke für Ihr ehrliches Feedback. Ich bin mit Ihnen einig, dass die militärische Ausbildung unsere Soldatinnen und Soldaten auf Einsätze vorbereiten muss. Das braucht anspruchsvolles und realitätsnahes Training, basierend auf modernen pädagogischen Grundlagen. Wir werden in den nächsten Monaten mit einer neuen Ausbildungskonzeption beginnen, die unsere Armeeangehörigen auf die Bedrohungen von 2030 und später vorbereitet.
Die Welt ist in der Tat volatiler, unsicherer, komplexer und vieldeutiger geworden. Damit kann jederzeit alles passieren. Die Schweizer Armee ist die letzte Sicherheitsreserve der Schweiz und muss bereit sein für vielfältige Herausforderungen.
Freundliche Grüsse, Thomas Süssli